Herzerkrankungen sind Männersache? Das ist ein überholter Mythos: Die harten Fakten belegen, dass Evas Töchter inzwischen die neue Risikogruppe sind.
Bis vor einigen Jahren galten Herzerkrankungen, besonders der Herzinfarkt, noch als typisch männlich: So sahen ihn 2005 bei einer Emnid-Umfrage 61 Prozent der Frauen als reine Männerkrankheit an. Vier von fünf Frauen gingen davon aus, dass sie die gleichen oder sogar bessere Chancen haben, einen Infarkt zu überstehen. Das ist ein weiterer Irrtum, denn tatsächlich sind die Überlebenschancen von Frauen deutlich geringer. Denn Fakt ist, dass mit Männern in puncto Herzerkrankungen anders umgegangen wird – nämlich besser.
So werden etwa bei Herzpatientinnen im Vergleich zu Männern nur halb so viele Herzkatheter-Untersuchungen durchgeführt und nur ein Viertel der Bypass-Operationen. Frauen werden auch medikamentös schlechter behandelt. Unter anderem zeigte eine große US-Studie, dass sie weniger moderne Medikamente wie Thrombozytenhemmer oder Statine verordnet bekommen. Die medizinische Unterversorgung von Frauen muss nicht erstaunen. Denn diagnostiziert und behandelt wird nach bewährten Erkenntnissen: aus Studien an Männern.
Frauenherzen schlagen anders
Dass die Unterschiede zwischen den Geschlechtern groß sind, zeigt sich auf allen Ebenen: Bei den Ursachen und Symptomen, an der Aussagekraft der Diagnostik wie an der Wirksamkeit der Behandlung. Gehen wir auf Spurensuche:
- Frauen haben ein anderes Risikoprofil. Die bekannten Gefahren für den Lebensmuskel sind für Evas und Adams nicht gleichermaßen schädlich. Weibliche Herzen reagieren auf viele Risikofaktoren wie beispielsweise Bluthochdruck, Diabetes und Rauchen anders – nämlich deutlich empfindlicher.
- Kranke Frauenherzen weisen andere Symptome auf als Männer. Das gilt nicht nur für das Schreckgespenst Infarkt, sondern auch für vermeintlich “Harmloseres” wie eine Herzschwäche. Sie wird bei Frauen häufiger erst sehr spät erkannt: Apparative Untersuchungen wie eine Ultraschalluntersuchung des Herzens (Echokardiographie) oder ein Elektrokardiogramm (EKG) werden bei ihnen seltener durchgeführt.
- Die Aussagekraft eines Ruhe- und Belastungs-EKG ist schlechter als bei Männern. Was unter anderem daran liegt, dass die Belastungsdauer bei weiblichen Patientinnen zu kurz gehalten wird. Schließlich sind viele zum Zeitpunkt der Erkrankung schon älter und haben weitere Erkrankungen, die ihre körperliche Leistungsfähigkeit begrenzen.
Große Risikogruppe
- Invasive Diagnosemethoden wie eine Koronarangiographie, bei der die Herzkranzgefäße mittels Kontrastmittel im Röntgenbild sichtbar gemacht werden, sind bei Frauen effektiver als bei Männern. Dennoch werden diese Untersuchungen bei Frauen seltener durchgeführt. Für auffällige Untersuchungsergebnisse, die eine weitere, invasive Abklärung erforderlich machen würden, werden zunächst einmal gerne andere Ursachen angenommen.
- Dass es weibliche Herzmuskeln offensichtlich schwerer haben, zeigt sich auch daran, dass mehr Frauen an Herzschwäche erkranken als Männer. Auch sind sie häufiger von Herzrhythmusstörungen betroffen und erleiden infolge öfter einen plötzlichen Herztod. In den letzten Jahren ist dieses schreckliche Ereignis seltener geworden – bei Frauen ging die Zahl der Fälle allerdings nur um halb so viel zurück wie bei Männern. Bei jungen Frauen ist sogar eine Zunahme zu verzeichnen.
- Immer mehr Frauen erleiden einen Schlaganfall. Besonders gefährdet sind übergewichtige Frauen mit Bluthochdruck. Kommt die Anti-Baby-Pille dazu, erhöht sich Ihr Schlaganfall-Risiko glatt um das 7- bis 11-fache.
- Einige Herzmedikamente wirken bei Frauen anders. So bietet ihnen beispielsweise Acetylsalicylsäure (ASS) einen geringeren Gefäßschutz: Die vorbeugende Wirkung gegen Herzinfarkt ist nicht so gut wie bei Männern. Als Grund wird vermutet, dass weibliche Blutplättchen anders auf ASS reagieren.
- Bypass-Operationen sind für Frauen gefährlicher: Ihre Chancen, diesen schweren Eingriff zu überleben, sind kleiner als bei Männern. Ebenso treten häufiger Komplikationen auf wie Schlaganfall, Nieren- oder Herzinsuffizienz. Diskutiert wird unter anderem, ob die kleineren Herzkranzgefäße oder häufigere Begleitkrankheiten wie Diabetes diese Operation so gefährlich machen. Auch die Tatsache, dass Frauen meist in einem höheren Alter einen Bypass bekommen, scheint eine Erklärung zu sein.
Fazit: Gefährliche Trendwende
- Frauen erleiden schwerere Infarkte und haben danach eine schlechtere Lebensqualität
- viele Risikofaktoren – besonders Bluthochdruck und Diabetes – wirken sich stärker aus
- einige Diagnosemethoden sind nicht so aussagekräftig wie bei Männern
- Beschwerden werden eher bagatellisiert und Untersuchungen daher weniger konsequent angeboten
- lebensnotwendige Therapien setzen später ein
- immer mehr junge Frauen sind betroffen: bei den 35- bis 54jährigen stieg das Infarktrisiko um 55 Prozent