Die neuen niedrigeren Grenzwerte für den Blutdruck können eine Gefahr für ältere Patienten darstellen: Experten warnen deshalb vor unkritischer Anwendung.
Im November 2017 gaben die US-amerikanischen Fachgesellschaften für Herz und Kreislauf ihre neuen Empfehlungen für den Blutdruck bekannt. Seitdem gilt nur noch ein Blutdruck von weniger als 120/80 mm Hg als normal, sprich gesund. Bereits ab einem Blutdruck von 130/80 mm Hg liegt ein Bluthochdruck vor. Viele Menschen wurden damit quasi über Nacht zu Hochdruckpatienten – oder als solche abgestempelt. Entsprechend groß war das Interesse der Öffentlichkeit und der Medien an diesem Vorgang. Auch Journal Herz-Kreislauf berichtete darüber.
Grenzwerte nicht übertragbar
Die neuen US-amerikanischen Empfehlungen stützen sich auf aktuelle Untersuchungen, die in der Tat auch für ältere Patienten den Nutzen einer intensiveren Blutdrucksenkung zeigten. Daran ist nicht zu rütteln. Jetzt kommen allerdings die großen Aber: In die Studien wurden nur sehr rüstige, zuhause lebende, ältere Patienten aufgenommen. So fit wie diese Patienten sind jedoch bei weitem nicht alle Personen im höheren Lebensalter. Und, die automatische, unbeobachtete Blutdruckselbstmessung, die eingesetzt wurde, führt zu anderen Werten. Nämlich zu solchen, die im Durchschnitt etwa 15/8 mm Hg niedriger liegen als bei Messungen durch medizinisches Personal.
Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie rät daher gemeinsam mit anderen Experten dringend davon ab, die neuen Blutdruckempfehlungen bei älteren Patienten anzuwenden. Denn: Häufig befinden sich Ältere in einem schlechten Allgemeinzustand mit zahlreichen Begleiterkrankungen. Zudem leben sie oftmals aufgrund einer oder mehrerer Behinderungen in Alten- und Pflegeeinrichtungen. Solche Patienten haben jedoch an den US-Untersuchungen gar nicht teilgenommen. Die darauf basierenden Grenzwerte sind mithin schlichtweg nicht übertragbar.
Niedrig kann riskant sein
Gegen die Anwendung bei vielfach erkrankten Älteren und Hochbetagte spricht auch, dass eine intensivere Blutdrucksenkung mit vielen Problemen einhergeht. Wie Studien zeigten, bedeutet der niedrige Blutdruck eine größere Sturzgefahr und damit eine größere Gefahr für Knochenbrüche. Zudem geht ein niedriger Blutdruck bei diesen Patienten mit einer erhöhten Sterblichkeit einher. So haben Altenheimbewohner, deren Blutdruck auf unter 130 mm Hg gesenkt wurde, eine um 78 Prozent höhere Sterblichkeit als jene Bewohner, deren Blutdruckwerte bei über 130 mm Hg liegen*.
Fazit: Bei älteren Patienten mit mehreren Erkrankungen, die auch mobil eingeschränkt sind, ist zu befürchten, dass der Schaden der neuen Grenzwerte unter Umständen deren Nutzen übersteigt.